Mittwoch, 15. Dezember 2010

1. Szene

1. Szene

Paradies


Die Bühne ist leer.


Links steht ein Männer-Chor.


Rechts steht ein Frauen-Chor.


Das Kind – gespielt von einem etwa dreißigjährigen Mann im Kommunionsanzug – betritt die Bühne und stellt sich an den vorderen Bühnenrand mit dem Rücken zum Publikum.


Der Frauen-Chor beginnt eine Litanei, die die ganze Szene über anhält: Er betet Urlaubsziele und die entsprechenden Preise herunter à la:

1 Woche Mallorca 349 €, 3 Tage Rom 59 €, 2 Wochen Malediven Halbpension 799 €

usw.


Der Männerchor antwortet mit einem steten:

Ist zu teuer – oder – keine Zeit – oder – nicht mit dir


Die Litaneien der beiden Chöre nehmen während der Szene immer wieder an Lautstärke zu bis hin zu einem einzigen Geschrei; dann werden sie wieder leise bis hin zu nahezu lautlosem Geflüster.


Der Mann – in Anzugshose, zugeknöpftem Hemd, aber hemdsärmelig, ein Stofftaschentuch mit vier Knoten als Kopfbedeckung – betritt die Bühne u. rollt auf der linken Seite der Bühne, direkt vor dem Männer-Chor, einen 2 mal 1 Meter großen Kunstrasenstreifen zur Bühnenmitte hin aus.

Er stellt sich vor den Kunstrasenstreifen, mit dem Rücken zum Publikum, und pisst auf den Kunstrasenstreifen. Dazu werden in großer Lautstärke über die Lautsprecher Pissgeräusche eingespielt.


Der Mann:

oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gott


Das Kind erleidet einen Hustenanfall. Der Mann bemerkt das Kind trotzdem nicht.


Der Mann:

nee, nee, nee

nee, nee, nee


Der Mann schüttelt seinen Schwanz aus.


Die Frau – in einem altmodischen Badeanzug, auf dem Kopf eine Badehaube mit grünen Applikationen – kommt mit einer zusammengeklappten Strandliege unterm Arm auf die Bühne. Sie wirft dem Mann die Liege vor die Füße.

Der Mann rührt sich nicht.


Das Kind erleidet einen Niesanfall. Niemand reagiert darauf.


Die Frau seufzt. Dazu werden Seufzgeräusche in großer Lautstärke über die Lautsprechen eingespielt.


Sie atmet auffordernd. Auch diese Geräusche werden in großer Lautstärke über die Lautsprecher eingespielt.


Der Mann:

jaja, jaja

jaja, jaja

jaja, jaja


Mann und Frau stehen sich nun gegenüber, im Profil zum Publikum.


Männliche Stimme aus dem Off, die beiden Chöre flüstern unterdes ihre Litanei:


Morgens wenn alles schlief, schlich ich nackt aus dem Haus, in den Händen ein Messer, u. lief in den Wald. Ich fiel über äsendes Wild her u. schnitt ihm die Kehle durch. Die Hälse hielt ich über meinen Kopf u. duschte in dem Blut. Es rann mir in die Augen, es füllte meine Mundhöhle an u. es tropfte von meinem Schwanz. Ich trank u. fühlte das Brennen in den Augen als Beweis der Wirklichkeit meines Traumes. Ich steckte als Dank meinen Schwanz in die Halswunde u. spritze dem Tier meinen Samen in den Kopf.


Der Mann klappt die Liege auseinander u. stellt sie auf den Kunstrasenstreifen.


Die Frau zerrt eine Maschinerie auf die Bühne. In einem Rund mit anderthalb Meter Durchmesser sind Drähte gespannt. Wie ein Karussell lässt sich die Maschinerie in Bewegung setzen. Die Frau probiert es aus. Jahrmarktsmusik erklingt leise. Die Frau lacht. Sie stoppt die Maschinerie. Sie bindet an die Drähte bunte Plastikblumen im Abstand von 5 Zentimeter. Dabei lacht sie immer wieder laut auf oder verfällt für Augenblicke in einen katatonischen Zustand der Verträumtheit. Sind rundrum an den Drähten die Blumen angebracht, setzt sie die Maschinerie in Gang.


Der Mann legt sich unter die Liege. Er schreit kurz aus vollem Hals. Der Schrei wird als Echo über die Lautsprecher eingespielt.


Die Frau legt sich auf die Liege u. cremt Arme, Beine u. Gesicht mit Sonnencreme ein.

Dabei stöhnt sie immer wieder vernehmlich – wie unter großer Belastung.


Lautes, schweres Atmen einer Frau wird über die Lautsprecher eingespielt.


Weibliche Stimme aus dem Off, die beiden Chöre flüstern unterdes ihre Litanei:


Ich rannte mit dem schwarzen Hund über die Felder, die Ähren peitschten meine Beine. Der Saum meines Rockes wurde zerfetzt u. die Sonne brannte mir in den Nacken. Ich war eine junge Frau u. hatte eine weiße Haut. Meine Brüste waren wohlgeformt u. ich spürte die warme Erde unter meinen nackten Füßen. Als ich auf den Hof meines Vaters zurückkehrte, nahm er sein Gewehr u. zielte zuerst auf mich, dann auf den Hund u. drückte ab. Der Kopf des Hundes zerplatzte. Blut u. Hirn spritzte auf meine Bluse. Ich rannte in die Scheune u. unterdrückte meine Schreie. Ins Holz der Wand ritzte ich mit meinen Fingernägeln Flüche u. Schimpfworte, bis sämtliche Finger bluteten. Mit diesen Händen griff ich zwischen meine Beine u. wichste mir die Wirklichkeit des Traumes in den Kopf. Später setzte ich mich gewaschen, still u. mit verbundenen Fingern an den Küchentisch u. löffelte mit Vater Suppe aus einer Emailschüssel. Keiner sagte ein Wort.


Das Kind, das bisher unbeweglich am vorderen Bühnenrand stand, trippelt an den hinteren Bühnenrand u. pisst. Pissgeräusche kommen von Band. Es kehrt mit einer Pistole zurück u. stellt sich vor das Karussell mit den Blumen.


Der Mann unter der Liege schreit wie ein Schwein am Spieß.


Die Frau stöhnt laut auf u. dreht sich nervös von einer Seite auf die andere.


Das Kind zielt mit der Pistole auf die beiden. Dann auf die Blumen. Es schießt nach und nach den Blumen die Köpfe ab. Die Jahrmarktsmusik wird dabei zunehmend lauter, wohingegen die beiden Chöre verstummen.


Das Kind verzieht während des Schießens keine Miene.


Nachdem das Kind allen Blumen die Köpfe abgeschossen hat, verbeugt es sich vor dem Publikum u. stellt sich dann vor die Liege. Es hofft auf Belohnung für seine Leistung.


Das Kind stößt die Frau immer wieder an der Schulter an. Endlich reagiert sie u. steht unter großem Stöhnen von der Liege auf.

Die Frau sieht das sich drehende Karussell u. die kopflosen Stängel. Sie fällt theatralisch in Ohnmacht.


Das Kind glaubt, die Frau sei tot, u. es habe sie umgebracht. Es versteinert.


Der Mann schreit. Dann quält er sich unter der Liege hervor, sieht die Bescherung. Er schlägt brutal auf das Kind ein. Das Kind bleibt versteinert stehen.


Der Mann geht zu dem Karussell, reißt die Stängel vom Draht u. schmeißt sie auf einen Haufen. Er sammelt die abgeschossenen Blumenköpfe ein u. schmeißt sie auf den Haufen. Er nimmt das Taschentuch vom Kopf, zerknüllt es u. wirft es auf den Haufen. Dann zieht er aus seiner Hose eine Zeitung, faltet sie auseinander, zerknüllt sie u. schiebt sie unter den Haufen. Er nimmt ein Feuerzeug aus seiner Hose u. zündet den Haufen an.


Dann zerrt er das Kind vor den brennenden Haufen. Er öffnet die Hose des Kindes, holt seinen Pimmel heraus. Dann öffnet er die eigene Hose, holt seinen Schwanz heraus. Er pisst ins Feuer. Das Kind steht ungerührt da u. pisst nicht. Der Mann gibt ihm deswegen eine schallende Ohrfeige. Das Kind bleibt ungerührt.


Die Litaneien der Chöre schwellen bis zur Unerträglichkeit an.


Das Licht verlöscht. Die Litaneien der Chöre enden abrupt.


Bilder mittelalterlicher Totentänze werden an die hintere Wand projiziert. Dazu wird über die Lautsprecher der Gregorianische Choral „dies irae, dies illa“ eingespielt. Endet der Choral, stoppt auch die Projektion.


Das Licht geht kurz wieder an u. taucht die Bühne in gleißende Helligkeit. Die Bühne ist leer, selbst die beiden Chöre sind verschwunden.


Dann Licht aus.

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