4. Szene
Erde
In der Mitte der Bühne sind drei gläserne Drehtüren an den Eckpunkten eines gleichschenkligen Dreiecks aufgestellt. Sie stehen so dicht beieinander, dass zwischen den Drehtüren kein Durchkommen ist. Die Drehtüren besitzen jeweils nur einen Ausgang, der bei allen dreien lediglich in den Innenraum des Dreiecks führt. Die Drehtüren werden von Leuchtstoffröhren beleuchten, die am unteren Ende der Module angebracht sind. Sonst keinerlei Beleuchtung auf der Bühne.
Mann, Frau u. Kind – alle in schwarzer Kleidung – stehen im Innenraum des Dreiecks. Sie schweigen. Sobald einer der dreien eine Drehtür betritt, sieht man deutlich, dass er oder sie anfängt zu reden, man hört jedoch kein Wort. Nie betreten zwei Personen gleichzeitig eine Drehtür. Die Drehtüren werden mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, mal langsam gemächlich, mal hektisch schnell, mal panisch nervös, mal gelangweilt zeitlupenhaft betreten. Die Drehtüren spucken die jeweilige Person immer wieder zur Mitte hin aus, manchmal nach einer Runde, manchmal nach zwei, drei oder mehreren Runden. Die Drehtüren können von den Personen beliebig gewählt werden. Wird eine Person zur Mitte hin ausgespuckt, hört man jeweils das letzte Wort dessen, was die Person gesprochen hat, danach schweigt die Person augenblicklich still, in dem Wissen, dass das eine Wort schon nicht hätte gehört werden dürfen; dass es bereits zuviel verrät. Jeder der drei Personen hat ein Mikro anstecken. Die Worte werden sehr laut über die Lautsprecheranlage übertragen. Die Ausspuckfrequenz der dreien variiert, ebenso die Zahl deren, die sich gleichzeitig in der Mitte befinden.
Die beiden Chöre hocken vor der Bühne – je nach Höhe der Bühne entweder auf dem Boden oder auf Stühlen vor der Bühne. Sie sprechen ihren Text litaneiartig wie Gebete in der Kirche, allerdings mit unterschiedlicher Intensität. Die Worte von Mann, Frau u. Kind sollten jedoch stets zu verstehen sein. Ist ein Chor mit seinem Text zu Ende, beginnt er von vorne. Die beiden Chöre sprechen im Wechsel.
Der Männerchor spricht:
I've been cheated by you since I don't know when
So I made up my mind, it must come to an end
Look at me now, will I ever learn?
I don't know how but I suddenly lose control
There's a fire within my soul
Just one look and I can hear a bell ring
One more look and I forget everything, o-o-o-oh
I've been angry and sad about the things that you do
I can't count all the times that I've told you we're through
And when you go, when you slam the door
I think you know that you won't be away too long
You know that I'm not that strong.
Just one look and I can hear a bell ring
One more look and I forget everything, o-o-o-oh
Der Frauenchor spricht:
Mamma mia, here I go again
My my, how can I resist you?
Mamma mia, does it show again?
My my, just how much I've missed you
Yes, I've been brokenhearted
Blue since the day we parted
Why, why did I ever let you go?
Mamma mia, now I really know,
My my, I could never let you go.
Am Rand der Bühne steht der Doktor mit schwarzem, langem Haar u weißem Kittel. Immer wieder versucht er gegen die Drehtüren anzulaufen, als sähe er das Glas, das die Türen umgibt, nicht. Er prallt ab – Mann, Frau u. Kind zeigen keine Reaktion, sie bemerken ihn schlichtweg nicht oder wollen ihn nicht bemerken – , torkelt rückwärts u. fällt von der Bühne in den Chor. Jedes mal entsteht Gerangel, begleitet von Schmährufen einiger der Chormitglieder (während die anderen unbeirrt in ihrem Text fortfahren). Chormitglieder schlagen ihn u. drängen ihn zurück auf die Bühne, als sei er etwas Ekelhaftes, das sie auf keinen Fall in ihrer Nähe haben wollen.
Kind:
… mit
Frau:
….ihr
Mann:
….Keller
Frau:
….weilig
Mann:
….nie
Kind:
…immer
Doktor:
Anankasmus ist ein pathologischer Zustand. Ohne Zweifel. Ein Zwang zum Zählen, Grübeln, Waschen, Kontrollieren, z.B. der Schlösser, der Gasöfen. Dieser Zwang lässt sich nicht abstellen, obwohl die Unsinnigkeit erkannt wird. Ich weiß Bescheid.
Kind:
…weg
Mann:
…Grab
Frau:
…nie
Kind:
…betrunken
Mann:
…früher
Kind:
…Schwanz
Frau:
…heiraten
Mann:
….Frau
Mann:
…immer
Kind:
…nie
Frau:
…immer
Kind:
…Witz
Mann:
…Mutter
Frau:
…Sex
Frau:
…leer
Kind:
…nie
Frau:
…Kinder
Mann:
…gewollt
Kind:
…weg
Mann:
…gesagt
Frau:
…immer
Mann:
…sie
Kind:
…nie
Kind:
…ich
Frau:
…nie
Mann:
…es
Frau:
…gemacht
Frau:
…nie
Kind:
…Ausland
Mann:
…verzichtet
Frau:
…immer
Doktor:
Sicherlich auch ein Magenkatarrh oder eine Magenschleimhautentzündung. Sicherlich primär oder sekundär, sicherlich akut oder chronisch, sicherlich pathologisch, superfizial, atrophisch oder sicherlich auch hypertrophisch. Sie Symptome sind glasklar verminderter Appetit, Druck und Völlegefühl, Erbrechen, belegte Zunge, Schwindel. Die Magensekretion ist ganz gewiss vermehrt oder vermindert. Der Stuhlgang ist absolut vermehrt oder diarrhoisch. Hundertprozentig liegt Obstipation vor. Ich weiß Bescheid.
Kind:
…scheiße
Kind:
…scheiße
Kind:
….scheiße
Mann:
…dumme
Mann:
…sau
Mann:
…blöd
Frau:
…der
Frau:
… Kerl
Frau:
…nicht
Kind:
…immer
Mann:
…mich
Frau:
…immer
Mann:
…du
Kind:
…nie
Frau:
…der
Mann:
…nie
Frau:
…Bett
Mann:
…angefasst
Kind:
…fressen
Mann:
…immer
Kind:
…nie
Frau:
…immer
Doktor:
Ganz sicher liegt eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vor. Also nichts anderes als eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Kein Zweifel. Zum Erscheinungsbild gehören immer sehr wechselhafte Stimmungen und Affekte, ein zerrüttetes Selbstbild, sieht man ja, sehr unterschiedlich ausgeprägte Arten von traumabedingten Dissoziationen und damit verbundene Autoaggression – krank krank krank u. wer leidet darunter: ich ich ich – sowie extreme zwischenmenschliche Sensibilität, na ja, ich hab da meine sicheren Zweifel, und extremes Emotionsgedächtnis. Vor allem die letzten beiden Symptome sind immer, wenn nicht noch öfters, Ursache für soziale Konflikte. Ich bin der lebende Beweis. Grundsätzlich sind die Symptome bei den Betroffenen sehr unterschiedlich; schwierige Sache, nur wenige wissen darüber so Bescheid wie ich, bei vielen von denen da ist es sogar gegenteilig. Ich weiß Bescheid.
Der Doktor rennt mit voller Wucht gegen eine der Drehtüren u. bleibt bewusstlos liegen.
Mann, Frau u. Kind formieren sich in der Mitte des Dreiecks ihrerseits zu einem Dreieck, die Gesichter schauen nach außen.
Die Chöre stehen auf, bücken sich über den auf dem Boden liegenden Doktor u. schlagen auf ihn ein. Dann zerren sie ihn von der Bühne. Sie kehren mit Farbeimern zurück u. schmieren mit bloßen Händen die Drehtüren mit roter Farbe ein, bis die drei im Innern nur noch als Schemen zu erkennen sind.
Die beiden Chöre stellen sich um die Drehtüren und singen a capella „we will rock you“ von Queen. Den Rhythmus schlagen sie mit den Händen auf die Umfassungen der Drehtüren.
Nach dem Ende des Liedes lachen die Chöre herzhaft.
Chöre verstummen
Man hört über Luatsprecher das Schlagen eines Herzens.
Stille
Dann Licht aus.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen