Mittwoch, 15. Dezember 2010

5. Szene

5. Szene

Taufe


Auf jeder Seite der Bühne stehen drei rote Kohleöfen in Form von großen Tanks. Die Öffnungsluken sind zur Bühnenmitte hin. In den Öfen elektrische Feuerimitate.

In der Mitte der Bühne liegen ein Berg Steinkohle u. einige Holzscheite. Neben den Kohlen stehen Schaufel bereit, neben den Holzscheiten ein Axtblock u. eine Axt. Am vorderen Bühnenrand steht in der Mitte ein Eimer mit Wasser.


Der Männerchor schaufelt während der Szene Kohle in die linken Öfen. Beim Kohleeinwerfen schreien während der ganzen Szene vereinzelte Chormitglieder:


Schlaf mit mir!


Der Frauenchor teilt sich auf. Eine nimmt einen Holzscheit, gibt ihn einer anderen, die ihn auf den Axtblock stellt, eine dritte spaltet den Scheit mit der Axt, die Restlichen nehmen die gespaltenen Holzscheite u. werfen sie in die rechten Öfen. Während der Szene schreien einzelne Chormitglieder:


Mach mir ein Kind!


Links vor dem Kohlehaufen liegt der Mann in einer Schubkarre u. betet monoton das Vaterunser. Über ihm hängen von der Decke Schläuche. Zwischendurch zuckt er, dass er beinahe aus der Schubkarre fällt, u. schreit immer wieder, als hätte er das Tourettesyndrom:


Arsch

Wichser

Drecksau

Scheißefresser

Pisser

Fick dich

Hurensohn


Rechts vor dem Holzscheitehaufen stehen Frau u. Kind. Die Frau wirft immer wieder Tabletten ein u. wirft die Tablettenröhrchen auf das Kind. Das Kind liest laut:


Aspirin

Togal

Vitamin C

Lexotanil

Valium


Dann treibt die Frau das Kind dazu an, einem aus dem Männerchor die Schaufel zu entwenden u. Kohle auf den Mann zu werfen. Dann zwingt es das Kind auf den Mann zu steigen. Der Mann fickt das Kind. Die Frau reißt das Kind an den Haaren von dem Mann runter. Sie nimmt die Schläuche u. befestigt sie zwischen den Beinen des Mannes. Der Mann unterbricht dabei weder das Beten noch das Schreien der Schimpfworte.


Dann treibt die Frau das Kind dazu an, mit ihr einen Holzscheit aufzuheben. Aus dem Scheit stehen jedoch zwei Nägel heraus, die sich das Kind durch die Hände treibt. Das Kind bleibt stumm. Die Frau zieht die Hände grob von den Nägeln u. klebt vier Pflaster, die sie aus der Hosentasche kramt, auf Innen- u. Außenseite der Hände. Dann werfen beide den Holzscheit in einen der Öfen.


Der Mann entfernt die Schläuche, steht auf, schubst ein Chormitglied beiseite u. klettert – betend u. schreiend – in einen der Öfen u. fällt unten wieder heraus auf den Boden. Er kriecht unter dem Ofen hervor u. versucht es bei einem anderen Ofen wieder. Gleiches Resultat. Er legt sich wieder in seine Schubkarre, betend u. schreiend.


Die Frau geht zu einem der Öfen, schubst eins der Chormitglieder beiseite u. klettert in einen der Öfen. Auch sie fällt hindurch auf den Boden u. kriecht dann darunter hervor. Versucht es noch einmal. Gleiches Resultat.


Mann u. Frau wiederholen diesen Vorgang in immer größerer Geschwindigkeit. Das Kind beginnt über diese Slapstickeinlage zu lachen.


Die Frau mimt zwischendrin den sterbenden Schwan. Mann u. Kind lachen.


Die Frau packt das Kind, schubst ein Chormitglied grob beiseite u. steckt das Kind mit dem Kopf voran in einen der Öfen. Dabei schreit sie:


Das ist nicht die Hölle, das ist das Leben. Sei dankbar.


Das Kind fällt auf den Boden, versucht aber nun nicht zur Bühnenmitte hin, sondern zum Bühnenrand hin davon zu kriechen. Die Frau packt es an den Beinen u. zieht es zurück auf die Bühnenmitte.

Auch dieser Vorgang – die Frau packt das Kind, steckt es in den Ofen, sie schreit ihren Text, das Kind versucht davon zu kriechen, die Frau zieht es zurück – wiederholt sich mit immer größerer Geschwindigkeit. Der Mann betet u. schreit währenddessen lachend u. grölend. Er reißt die Schläuche von der Decke. Dann steht er auf u. schlägt – betend u. schimpfend – mit den Schläuchen Frau u. Kind.


Dann verharrt die komplette Bühnenmannschaft im Freeze. Stille für drei Minuten.


Nur Frau u. Kind erwachen aus dem Freeze. Sie stopft das Kind wieder in einen der Öfen. Das Kind fällt auf den Boden, rührt sich jetzt aber nicht mehr.


Die Frau nimmt den Eimer mit Wasser u. schüttet es in den Ofen, unter dem das Kind liegt. Sie sagt ruhig u. gesetzt:


Jetzt ist’s aber genug.


Das Kind zischt:


Scheiße


Das „Scheiße“ wird über Lautsprecher als Echo, das allmählich verklingt, eingespielt.


Alle wieder im Freeze. Stille für zwei Minuten.


Alle bleiben im Freeze. Über Lautsprecher wird Heintjes „Mama
Du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen
“ eingespielt.


Nach Ende des Liedes kriecht das Kind – alle anderen bleiben im Freeze – zum Bühnenrand u. geht ab.


Licht aus.


©Klaus Peter Buchheit

Augsburg 2007

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