Mittwoch, 15. Dezember 2010

2. Szene

2. Szene

Himmel


Die Bühne ist leer.


Der Männer-Chor tritt auf u. montiert Lichtstrahler am unteren Rand der hinteren Wand. Der Männer-Chor stellt sich vor die linke Hälfte der hinteren Wand.


Der Frauen-Chor tritt auf u. stellt sich vor die rechte Hälfte der hinteren Wand. Jede der Frauen hat einen Lichtstrahler in der Hand. Einzeln treten die Frauen vor u. montieren die Strahler am Boden vor den beiden Chören.


Der Männer-Chor beginnt zu stöhnen. Das Stöhnen hält mit zunehmender u. abnehmender Lautstärke die ganze Szene über an.


Der Frauen-Chor beginnt zu kichern. Das Kichern hält mit zunehmender u. abnehmender Lautstärke die ganze Szene über an.


Der Mann, gekleidet in einem altmodischen aber durchsichtigen Nachthemd u. in Socken, tritt auf. Er stellt eine Lazarettpritsche links von der Mitte der Bühne u. eine rechts von der Mitte der Bühne auf. Er knackt einige Nüsse, verschluckt sich, kriegt einen Hustenanfall, dann legt er sich auf die rechte Pritsche.


Die Frau, gekleidet in einem altmodischen aber durchsichtigen Nachthemd u. barfuss, tritt auf. Sie stellt drei weiße Stellwände aus Stoff so vor die beiden Pritschen, dass eine weitere Bühne auf der Bühne entsteht. Sie nimmt etliche Pillen, dann legt sie sich auf die linke Pritsche.


Abwechselnd leuchten die Strahler vor der hinteren Wand u. die vor den Chören auf, so dass einmal die Chöre als Schattenriss auf den Stellwänden zu sehen sind u. einmal die Pritschen mit Mann u. Frau.


Das Kind – gespielt von einem etwa dreißigjährigen Mann in billiger Unterhose – tritt auf. Es stellt einen wackligen Treppenabsatz in die Mitte vor die Stellwände. Das Kind setzt sich auf die oberste Stufe.


Die Chöre verstummen fast. Über die Lautsprecher werden weibliches, unruhiges Atmen, durchsetzt mit Seufzern, und männliches Schnarchen, durchsetzt mit spitzen Angstschreien, eingespielt. Das Kind spielt währenddessen mit seinem Schwanz. Das Kind wird während der Szene immer wieder von Würganfällen heimgesucht. Es glaubt, kotzen zu müssen, allerdings ist es jedes Mal falscher Alarm.


Mann und Frau erscheinen als Schattenriss. Beide erheben sich somnambul von ihren Pritschen u. stellen sich nebeneinander.


Mann:

Blöde Kuh.


Frau:

Arschloch


Mann:

Vertrocknete Ziege


Frau:

Wichser


Mann:

Frigide Nutte


Frau:

Schlappschwanz


Mann:

Kindsmörderin


Frau:

Kinderficker


Das Kind, in Halbdunkel getaucht, holt sich während der Beschimpfung einen runter.


Mann:

Schlammfotze


Frau:

Motherfucker


Mann:

Drecksau


Frau:

Hurensohn


Mann:

Schlampe


Frau:

Verlogenes Schwein


Mann:

Stück Scheiße


Frau:

Stück Scheiße


Beide legen sich wieder somnambul auf die Pritschen, allerdings die Frau jetzt auf die rechte Pritsche, der Mann auf die linke.


Das Kind trinkt Wodka u. wird allmählich betrunken u. schwankt etwas auf seinem Treppenabsatz. Es raucht einen Joint.


Männliche Stimme aus dem Off (Das Kind hält sich die Ohren zu, auf den Stellwänden ist der Chor als Schattenriss zu sehen):

Einst war ich ein gläubiger Mann. Einst war ich ein Beter u. betete laut Gott an u. im Verborgenen betete ich die Fotzen u. Ärsche der Frauen an. Einst gierte ich nach geistiger Nahrung u. saugte in Fantasien an prallen Titten. Einst war ich Soldat in der Etappe u. enthielt mich des Schlachtens, einst schnitt ich in Gedanken den Männern die Schwänze ab, da sie damit Lust empfanden. Ich fühlte Schmerz. Einst war ich im Traum Baum u. Strauch u. Vogel u. Pferd. Der Wind wärmte mich. Einst war ich im Traum Wind u. Wolke. Die Erde wärmte mich. Einst war ich im Traum All u. Sternennebel. Alle Sonnen wärmten mich. Einst nahmen die Soldaten mich mit in den Puff u. die Weiber zeigten mir ihre haarigen Mösen u. die Kerle zeigten mir ihre Schwänze u. hielten mir ihre Ärsche hin. Die Soldaten packten ihre Teile aus u. stießen ins hagebuttenfarbene Fleisch der jungen Frauen u. in die rosigen Löcher der Männer. Die Soldaten stellten sich vor die Weiber u. steckten ihre Schwänze in ihre Münder u. die Soldaten stellten sich vor die Kerle u. pissten ihnen ins Gesicht. Ich empfand Lust u. ich empfand Scham u. ich empfand Schuld. Ich nahm mein Bajonett u. schlitzte die Soldaten auf. Ihr Geschrei war mir Musik. Ich nahm das Messer u. schlitzte die Bäuche der Weiber auf, ihre Gedärme fielen wie kleine Cäsaren heraus. Ich hielt meine Pistole an die Schläfen der Kerle u zertrat mit meinen schweren Soldatenstiefeln ihre Schwänze u. Eier bevor ich abdrückte. Dann verließ ich den Puff, ging zurück in meine Etappe, reinigte mich im Meer u. betete den Rest der Nacht die Jungfrau Maria an, stella maris, meine unendliche Liebe.


Mann u. Frau erscheinen wieder als Schattenriss. Mann u. Frau erheben sich somnambul von ihren Pritschen u. stellen sich Aug in Aug mit dem Profil zum Publikum.

Sie schlagen einander mit wechselnder Intensität ins Gesicht. Die Schläge sind über die Lautsprecher wie aus Kung-Fu-Filmen zu hören.

Das Kind versucht auf seinem Treppenabsatz zu schlafen. Es wälzt sich unruhig hin u. her u. erstarrt schließlich in gänzlich braver Sitzhaltung.


Weibliche Stimme aus dem Off (das Kind verharrt in seiner Sitzhaltung, auf den Stellwänden der Chor als Schattenriss):


Dass ihr nichts denkt. Dass ihr nichts fühlt. Dass ihr nichts erkennt. Dass ihr nichts seht. Dass ihr dumm seid. Dass ihr kalt seid. Dass ihr naiv seid. Dass ihr blind seid. Dass ihr das seid, was mich nicht verdient hat. Ihr habt mich nicht verdient. Ihr nicht. Ihr Schlappschwänze. Ihr Wichser. Ihr dummen Dreckskerle, die ihr die Bedürfnisse einer Frau nicht zu befriedigen wisst. Wie habe ich wegen euch gelitten. Wie habt ihr mir das Leben schwer gemacht. Wie ging es euch stets besser. Wie ging es euch in eurer beschissenen Dummheit besser. Wie habt ihr mich betrogen, jeder drecksdummen Fotze u. Nutte seid ihr nachgelaufen. In jeden Tripperarsch habt ihr euren Wurm versenkt. Von jeder Schlampe habt ihr euch ins Maul scheißen lassen. Ihr habt mich betrogen. Ihr habt mich um mein Leben betrogen. Ihr habt mir die Scheißkinder, diese Drecksblagen, angehängt. Habt meinen Bauch aufgeschwemmt. Nichts konnte ich mehr essen. Nichts mehr trinken. Jahrelang gehungert. Nur wegen euch. Ihr konntet keine Ruhe geben. Konntet nicht verschwinden. Musstet meinen Liebsten vertreiben. Der wusste, ich bin was Besseres. Ihr bautet mir ein Haus, er hätte mir eine Villa gebaut. Ihr schwängertet mich, er hätte mich auf Händen getragen. Ihr redetet vom Geist, er hätte meinen Körper beglückt. Ihr erledigtet eure Pflicht, er hätte mich gefickt. Und jetzt. Jetzt bin ich alt. Und ihr seid schuld. Jetzt bin ich hässlich u. ihr seid schuld. Jetzt bin ich böse u. ihr seid schuld. Jetzt kann ich nicht verrecken u. ihr seid schuld.


Das Kind, immer noch in braver Sitzhaltung, dreht sich mit dem Rücken zum Publikum u. holt sich, so still sitzend u. unbeweglich wie möglich, einen runter. Kurz bevor es kommt, treten ein Mann u. eine Frau aus den Chören vor die Stellwände. Beide halten einen Eimer in Händen. In dem Moment, in dem das Kind kommt, schütten sie weiße Farbe über das Kind.

Die beiden reihen sich wieder in ihre Chöre ein.


Auf den Stellwänden erscheinen wieder die Pritschen, Mann u. Frau als Schattenriss. Beide erheben sich wieder somnambul, stellen sich Brust an Brust, ohne sich zu berühren, mit dem Profil zum Publikum. Das Stöhnen u. Kichern der Chöre verstummt. Das Licht auf der Bühne verlöscht so, dass nur noch die Stellwände hell u. die Schattenrisse zu sehen sind. Über Lautsprecher hört man ein lautes Atmen, das dann ebenfalls innehält. Für fünf Minuten ist absolute Stille auf der Bühne. Mann u. Frau, Brust an Brust ohne sich berühren, bleiben absolut regungslos.


Dann setzt das Atmen wieder ein. Ebenso das Stöhnen u. Kichern der Chöre. Mann u. Frau nehmen somnambul ihre Pritschen u. gehen ab.

Die Chöre beenden ihr Stöhnen u. Kichern u. gehen ab.


Die Bühne wird in Schwarzlicht getaucht.


Das Kind stellt sich vor die Stellwände u. schreibt mit dem Finger auf die Leinwand. Zuerst benutzt es die Farbe, die an seinem Leib klebt, dann die Reste aus den beiden Eimern. Das Kind schreibt in Zeitlupentempo u. großen Buchstaben, so dass am Schluss alle drei Stellwände zugeschrieben sind. Die Schrift und das Kind leuchten im Schwarzlicht.


Das Kind schreibt:


Vater, ich lag wach in der Nacht u. eine große Angst kam über mich. Ich sah ein Schattenspiel an der Wand u. das Schattenspiel hatte ein Gesicht und das Gesicht hatte Hörner. Vater, ich traute mich nicht aufzustehen, das Licht anzuschalten u. mir etwas zu trinken aus der Küche zu holen. Ich lag da u. Stürme der Furcht tobten über meine Haut. Vater, du warst gestorben, zerfressen von einer Krankheit, von deiner Krankheit, von dir selbst. Vater, warum bist du in dieser Nacht zu mir zurückgekehrt. Wolltest du mir zeigen, wer ich bin? So höre, wer ich bin: Mir träumte in der Nacht, meine Brüder u. Schwestern hätten das Tribunal einberufen u. sie selbst waren die Richter. Sie befanden unsere Mutter für schuldig u. verurteilten sie zum Tode durch das Beil. Sie ernannten mich zum Vollstrecker des Urteils. Ich zweifelte das Urteil nicht an u. akzeptierte die Ernennung. Ich führte Mutter zu einer Lichtung, hieß sie, die nunmehr wieder jung u. schön war, ihr schwarzes Haar aus dem Nacken zu streichen u. ihren Kopf auf den Holzblock zu legen. Die weiße Haut ihres Nackens erregte mich u. erfüllte mich mit Zärtlichkeit u. Liebe. Ich nahm die große Doppelaxt u. schlug ihr mit einem einzigen Hieb den Kopf vom Leib. Dann erwachte ich voller Glücksgefühl.


Das Kind ab.


Die Stellwände bleiben in Schwarzlicht getaucht.


Über die Lautsprecher wird das Lied „Mama mia“ von Abba eingespielt.


Mit dem Ende des Liedes endet auch die Szene.


Licht aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen